Buchbesprechung
Rechtzeitig, in einer Phase der Verunsicherung und Selbstvergewisserung der katholischen Kirche, erscheint ein Band mit luziden Texten des bekannten Schweizer Soziologen zum tieferen Verständnis der gegenwärtigen Situation. Er ist zugleich gläubiger Katholik, an guter Praxis orientiertes Mitglied dieser Kirche. Das und Klarheit des Denkens macht das Besondere der Texte dieses Bandes aus. Er lässt vieles klarer sehen, was im Argen liegt, weil er an der nüchternen Analyse der historischen und gesellschaftlichen Zusammenhäng kirchlicher Realität interessiert ist.
„Tiefere Schichten der sich heute vor allem im Kontext der Missbrauchsdiskussion und der Frauenfrage manifestierenden Krise ans Licht zu bringen, das scheint mir eine wichtige Aufgabe katholischer Kirchenkritik“, sagt der Autor im Vorwort. Und in der Tat: Was ihn immer interessierte ist die Frage nach Bedingungen des Gelingens und Misslingens sozialen Handelns, die Frage nach Gerechtigkeit, Solidarität, Gemeinwohl, Inklusion, Verantwortung, Vertrauen. Sein Buch klärt auf über die gesellschaftliche Dimension von Religion und Kirche und zeigt auch die strukturellen Voraussetzungen kirchlicher Fehlleistung als sozialer Institution: Zentralismus, monokratisches Selbstverständnis, Klerikalismus, Mangel an Rechtssicherheit sind Stichworte. Es fragt nach der Unterscheidung zwischen dem Römischen und Katholischen, eruiert Gründe für die moralische Lethargie mancher Hierarchen, sucht auch theologische Gründe für Fehlentwicklungen.
Ob und wie Glaube zukunftsfähig sein kann, ist eine Frage, die ihn wie viele umtreibt. Er verweigert sich optimistischen Prognosen. Aber setzt als glaubender Mensch auf die Kraft des Evangeliums. Von den Kirchen fordert er, die grundlegenden Botschaften Jesu im kollektiven Gedächtnis der sich globalisierenden Menschheit lebendig zu halten. „Franz-Xaver Kaufmanns Texte nicht zu kennen, ist fahrlässig.“ Das schrieb kürzlich Joachim Hake, Direktor der Katholischen Akademie Berlin und Konsultor im Päpstlichen Rat für Kultur. Er hat recht.
Rudolf Walter
© Daniel Biskup
Rudolf Walter ist Philosoph, Theologe und Publizist. Er lebt in Freiburg i. Br. Als langjähriger Cheflektor des Herderverlags betreute er die Publikation zahlreicher Werke von Franz-Xaver Kaufmann. Im Herbst 2022 erschien in der Edition Exodus von Kaufmann das Buch: Katholische Kirchenkritik. «… man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!» (Luzern 2022).