Von Paulus bis Bonhoeffer: Rebellionen im Namen der Gleichheit
Franz J. Hinkelammert
Utopie – Mythos – Religion
Von der Kritik der Moderne zum Humanismus der Praxis
350 Seiten
CHF 33.– / € 31.–
ISBN 978-3-907386-01-9
Luzern 2023
Leben und Werk des Franz J. Hinkelammert widerspiegeln sowohl die Geschichte der Theologie der Befreiung als auch ihren gesellschaftspolitischen Ausgangspunkt und ihren wissenschaftlichen Status.
Die Theologie der Befreiung ist von Beginn an durch den methodischen Dreischritt «sehen – urteilen – handeln» gekennzeichnet. Hinkelammert hat zu allen drei Dimensionen Wesentliches beigesteuert und daher die Entwicklung der Theologie der Befreiung von Medellín (1968) bis heute nachhaltig beeinflusst. «Sehen» heißt nicht nur, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese zu analysieren. Es geht also auch in der Theologie nicht ohne Ökonomie und Soziologie. «Urteilen» bedeutet nicht nur, moralische Wertungen vorzunehmen, sondern eine radikale Kritik zu entfalten und deren Kriterien aus der Tradition der Bibel und der christlichen Lehre nachvollziehbar zu begründen. Und schließlich besagt «Handeln» nicht nur, dass man etwas tut, sondern dass eine dem Urteil adäquate gerade auch politische Praxis entfaltet und konsolidiert wird.
Vor rund fünfzig Jahren hat Hinkelammert den Dialog zwischen Theologie und Ökonomie in Gang gebracht und bis heute aufrechterhalten. In diesem Dialog zwischen Gleichberechtigten, wo es keine wechselseitigen Unterordnungen geben darf, werden beide Wissenschaften gezwungen, ihre Grundbegriffe zu über-denken und die mit ihnen operierenden Aussagen systematisch neu zu ordnen.
Als Musterbeispiel dafür hat das Begriffsfeld «Schuld – Schulden – Verschuldung» zu gelten, das von ihm immer wieder umgepflügt wurde, wie auch die hier vorliegende Veröffentlichung beweist. Eine Theologie, die versteht, dass das Erlassen gerade auch von Geldschulden zum Kernbestand der Botschaft Jesu und des «Vater-unser» gehört, dass Gott dem Menschen die Schuld erlässt, die er nicht bezahlen kann, wenn der Mensch dem Mitmenschen die Schulden erlässt, die dieser bei ihm hat – eine solche Theologie kann nicht länger neutral bleiben zur kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung, zu Hungersnot und Preistreiberei. Aber auch eine Ökonomie, die versteht, dass unbezahlbare Schulden nicht eingetrieben, sondern erlassen werden müssen, wird andere Wege aus der Verschuldungskrise von Individuen, Völkern und ganzen Weltteilen finden als halbherzige, ja verheerende Strukturanpassungsprogramme.
Kuno Füssel